Chronische Rückenschmerzen Teil 1:

Wenn das Nervensystem uns einen Streich spielt!

Fast jeder Mensch leidet in seinem Leben einmal unter Rückenschmerzen. Die Ursachen können dabei vielfältig sein. Jedoch findet sich bei nur ca. 20 Prozent der Schmerzpatienten eine strukturelle Ursache, wie z.B. ein Bandscheibenvorfall, die direkt mit den Beschwerden in Zusammenhang gebracht werden kann. In rund 80 Prozent der Fälle handelt es sich um sogenannte unspezifische Rückenschmerzen.

Dank unserer Selbstheilungskräfte sind die Rückenschmerzen bei der Mehrheit der Betroffenen nach 8 Wochen überstanden. Selbst ein Bandscheibenvorfall verheilt unter konservativer Behandlung nach einigen Wochen von alleine.

Bei etwa 10-15 Prozent der Rückenschmerzpatienten kommt es jedoch nicht zu einer Schmerzlinderung. Wenn die Beschwerden länger als 3 Monate andauern, spricht man von chronischem Schmerz.

Wenn die Schmerzrezeptoren überreagieren

Biologisch gesehen ist Schmerz eigentlich eine gute Sache.

Er signalisiert dem Gehirn, dass etwas im Körper nicht richtig funktioniert, ist also ein Warnsignal.

Klassisch-physiologischer Schmerz entsteht üblicherweise durch einen starken Reiz, etwa bei einer Verletzung. Auf diesen Reiz reagieren die so genannten Nozizeptoren, deren Name sich vom lateinischen Verb “nocere” ableitet, das “schaden” bedeutet. Die Nozizeptoren sind freie Nervenendigungen, die in fast allen Körpergeweben wie Haut, Knochen, Muskeln und inneren Organen sitzen. Ihre Erregung wird über das Rückenmark zur Hirnrinde geleitet, die sie bewertet und die Schmerzempfindung bewusst werden lässt.

Nervenzellen lernen schnell.

Wenn sie über einen längeren Zeitraum immer wieder Schmerzimpulsen ausgesetzt sind – nach einer Verletzung, bei mangelhaft behandelten akuten Schmerzen – verändern sie ihre Struktur, ihren Stoffwechsel. Sie bilden vermehrt Rezeptoren aus, die schon bei schwachen Reizen oder sogar ohne jeglichen Reiz Schmerzsignale an das Gehirn weiterleiten.

Die Nervenimpulse verselbständigen sich, die Zelle kann nicht mehr abschalten: Sie hat ein so genanntes Schmerzgedächtnis entwickelt. Der Schmerz ist nicht länger ein nützliches Warnsignal – er ist selbst zur Krankheit geworden.

Ob die überaktiven Nozizeptoren jedoch einen Schmerz auslösen, hängt auch davon ab, wie das Gehirn auf ihre Erregung reagiert. Selbst wenn die Nervenendigungen ununterbrochen feuern, kann der gefühlte Schmerz kommen und gehen – manchmal fühlt man auch Schmerz, obwohl die Nozizeptoren gar nicht aktiv sind. Das zeigt, wie stark auch die Psyche das eigene Schmerzempfinden beeinflussen kann.

Oftmals kommt es zu einem Teufelskreis, der über Schonung, Ängste und Sorgen den Schmerz zu einem chronischem Schmerz werden lässt.

Auswirkungen auf den Homunculus

Ein Highlight der jüngsten Schmerzforschung ist die Sichtbarmachung des Schmerzes mit bildgebenden Verfahren. So gewährt zum Beispiel die funktionellen Magnetresonanz-Tomographie (fMRT) Einblicke auf den Homunculus in der Großhirnrinde.

Chronische Schmerzen verändern die Repräsentation (Spiegelung) von Körperteilen im motorischen Cortex – jenem Teil der Großhirnrinde, der Bewegungsmeldungen verarbeitet. Dort ist der Körper in Form eines „Homunculus“ gespiegelt.

Je mehr Sinnesrezeptoren ein Körperteil hat, desto größer wird er im Homunculus abgebildet. So nehmen die Lippen ein größeres Feld ein als der Unterschenkel. Und bei einem Pianisten werde die Hände sehr stark im Homonculus repräsentiert sein.

Chronische Schmerzen verzerren jedoch die Abbildung des betroffenen Körperteils. Die Areale werden größer oder verschieben sich. Die Größe korreliert mit dem Chronifizierungsstadium und der Intensität des Schmerzes. Der Clou: Mit Hilfe der fMRT kann man die Veränderungen verfolgen. Bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen drängt sich die Spiegelung des Rückens auch in benachbarte Areale. Sind die Schmerzen behoben, wandert das Rückenareal wieder in sein angestammtes Feld.

Dem Teufelskreis entkommen

Um dem Teufelskreis der chronischen Schmerzen mit seinen vielschichtigen Einflussfaktoren zu entkommen, sind oft mehrere Ansatzpunkte erforderlich. So können bestimmte Entspannungsverfahren beruhigend auf das Nervensystem einwirken und die Reizweiterleitung zum Gehirn positiv beeinflussen. Eine Unterbrechung des aufrechterhaltenden Schmerzreizes kann z.B. auch durch eine Kältetherapie erreicht werden, wie sie heute in der modernen Schmerztherapie erfolgreich eingesetzt wird.

Je nach seelischer Auswirkungen kann begleitend eine Verhaltenstherapie in Erwägung gezogen werden. Um die körperliche Leistungsfähigkeit wieder zu gewinnen, sollten Inaktivität und Schonhaltungen durch gezieltes sensomotorisches Training, das Propriozeption, Gleichgewicht und eine Aktivierung der Tiefenmuskulatur berücksichtigt, einem klassischen Fitness- oder Krafttraining vorgezogen werden.

Quellen

https://www.dasgehirn.info/wahrnehmen/fuehlen/der-unendliche-schmerz
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/inhalt-50-1999/titel-50-1999/
https://www.aerzteblatt.de/archiv/20026/Chronische-Schmerzen-Wenn-das-Nervensystem-ein-Schmerzgedaechtnis-entwickelt