Chronische Rückenschmerzen Teil 2:
Das Phänomen der abgeschalteten Muskulatur
Jede Episode akuter Rückenschmerzen hat den vorübergehenden Ausfall der tiefen, stabilisierenden Rückenmuskulatur zur Folge. Hier geht unser Nervensystem besonders intelligent vor: um uns zu schützen, werden Teile der Rückenmuskulatur einfach abgeschaltet, damit wir uns nicht weiteren Belastungen aussetzen und noch mehr Schaden anrichten, solange wir ohnehin noch angeschlagen sind.
Bei einem Drittel der Patienten jedoch bleibt diese Muskulatur ausgefallen und regeneriert nicht eigenständig wenn der Rückenschmerz wieder am Abklingen ist. Insbesondere Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, sind davon betroffen. Durch den langen Ausfall der Tiefenmuskulatur müssen die oberflächlichen Muskeln zusätzlich stabilisierende Aufgaben übernehmen, sind dieser Aufgabe jedoch nicht gewachsen. Sie versuchen endgradige Positionen zu limitieren und geraten dabei in eine schmerzhafte Dauerkontraktion.
Ein Training der oberflächlichen Muskulatur verschlimmert zumeist sogar die Rückensymptomatik. Erst durch Anwenden einer spezifischen Aktivierung, kann die tiefliegende, stabilisierende Muskulatur wieder ihre ursprüngliche Funktion zurück gewinnen.
Eigenschaften der tiefen, stabilisierenden Muskulatur
► Fällt bei akutem Rückenschmerz zunächst aus, bei chronischen Schmerzen dauerhaft
► Kann durch Training auf instablilem Untergrund, Vibration, etc. reaktiviert werden
► Kann nicht wirklich aufgebaut werden, nur an- oder abgeschaltet sein
► Beteiligte Muskeln: m. multifidii, m. transversus abdominis als „Zünder“
► Übernimmt ausdauernde Halte- und Stabilisierungsfunktion
Bedeutende Stabilisatoren sind der musculus transversus abdominis, der seitlich unter den Rippenbögen ansetzt und unter Anspannung als „Zünder“ der weiteren Rumpf- und Rückenmuskeln agiert und die musculi multifidii, die jeweils die Wirbel direkt fest miteinander verbinden. Diese tiefliegende Muskulatur ist selbst bei gut trainierten Menschen nicht sichtbar.
Sensomotorisches Training
Sensomotorik ist das Zusammenspiel der Sinnessysteme mit den motorischen Systemen.
Um unser Nervensystem mit möglichst vielen sensorischen Reizen zu fordern, können der Tastsinn, das Gleichgewicht, die Augen und die Propriozeption (Wahrnehmung des eigenen Körpers) gezielt durch entsprechende Übungen trainiert werden.
Insbesondere Balance und Gleichgewicht wirken sich direkt auf die Reaktionsbereitschaft der tiefliegenden Muskulatur aus. Instabile Untergründe, wie z.B. Balance Pads, Pezzibälle, aber auch Schlingentrainer eigenen sich besonders, um massive, kurze, exzentrische Reize zu erzeugen und damit eine hohe sensomotorische Aktivität.
Diese Art des Trainings sollte bei chronischen Rückenschmerzpatienten bevorzugt gewählt werden, bevor ein klassisches Kraft- oder Fitnesstraining oder ein Ausdauertraining angestrebt wird.
Aktivierung des m. transversus abdominis auf instabilem Untergrund
Den unteren Rücken (LWS) leicht überstrecken,
Bauch einziehen und Bauchnabel nach oben zum Rippenbogen ziehen. Brustbein aufrichten.
Mit den Fingerkuppen seitlich unter der letzten Rippe tasten, ob die Muskulatur (m. transversus) angespannt ist.
Diese Position zunächst halten und ggfs. Armbewegungen, Kniebeugen ausführen (fortgeschritten).
Stabilisationstraining Tiefenmuskulatur mit instabilem Zusatz
Quellen
Dissertation „Kraftorientiertes versus propriozeptives Übungsprogramm in der Behandlung chronischer Rückenschmerzpatienten“, Klaudia Tänzler, Deutsche Sporthochschule Köln, 2011